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Das Inferno am Wall

Kaufhaus in Bremen in Vollbrand
Beim Eintreffen der Feuerwehr schlagen bereits Flammen aus Obergeschoss und Dachgeschoss.

Was wie ein Fernseh-Blockbuster-Titel klingt, beschreibt den Mittwochabend vom 6. Mai 2015. In der Straße „Am Wall“ – mitten in der Bremer Innenstadt – steht ein mehrgeschossiges Kaufhaus in Vollbrand. Die Flammen bedrohen die direkt angrenzenden Nachbargebäude. Zirka 215 Kräfte kommen zum Einsatz. Ein Feuer, dass die Beteiligten nie vergessen werden.

Es ist 21:40 Uhr an diesem lauen Frühlingsabend, als die ersten Notrufe in der Feuerwehr- und Rettungsleitstelle der Feuerwehr Bremen eingehen. Die Anrufer melden, dass Flammen aus dem allseits bekannten Kaufhaus schlagen. Umgehend werden aus der Leitstelle zahlreiche Kräfte von Feuerwehr und Rettungsdienst alarmiert. Dazu ertönt auf den Feuer- und Rettungswachen der Gong und eine Durchsage mit markiger Stimme.

„Dass es etwas Größeres wird, haben wir bereits bei der Alarmierung an der Stimmlage des Disponenten erahnt“, erzählt Bela Renk, damals Einheitsführer auf der Wache 1. Von hier rücken ein Hilfeleistungslöschgruppenfahrzeug (HLF) und eine Drehleiter (DLAK) aus. „Den Feuerschein und die starke Rauchentwicklung konnten wir schon beim Ausrücken sehen.“ Als sich das HLF dem Einsatzort nähert, meldet Renk über Funk: „Gesamtes Dachgeschoss brennt in voller Ausdehnung.“

Direkt werden in der Leitstelle das Einsatzstichwort auf „Gebäudebrand“ erhöht und weitere Einheiten alarmiert. Die Fahrzeuge von Wache 1 treffen ein, nur wenige Augenblicke später folgen auch das HLF und die Drehleiter der Wache 4 (Neustadt). Zu diesem Zeitpunkt lodern die Flammen bereits aus den großen Fenstern des dritten Obergeschosses.

„Solch ein Großfeuer in eng bebauter Innenstadt mit einer derartig hohen Brandintensität habe ich bis dahin noch nie erlebt – und auch danach nie wieder“, betont Michael Steinbrink, Einheitsführer Wache 4, und seit fast 35 Jahren im Dienst bei der Feuerwehr Bremen. Sofort bringen die Kräfte beide Drehleitern an der Vorderseite in Stellung und beginnen mit dem Aufbau einer Wasserversorgung.

Große Gefahr der Brandausbreitung

Die Flammen breiten sich währenddessen rasant aus. Innerhalb von wenigen Minuten steht das viergeschossige Geschäftsgebäude mit ausgebautem Dachgeschoss in Vollbrand. Es droht akut die Brandausbreitung auf die direkt angrenzenden Nebengebäude.

Im Minutentakt treffen Einheiten der Feuer- und Rettungswache 2 (Hastedt) und der Freiwilligen Feuerwehr (FF) Bremen-Neustadt ein. Während die Neustädter mit ihrem HLF vor dem Gebäude den umfangreichen Aufbau der Wasserversorgung einleiten, fahren HLF und DLAK der Wache 2 die Rückseite an. „Als wir dort ankamen, schlugen auch hinten Flammen aus allen Fenstern. Der Brand gewann schlagartig an Intensität, die Wärmestrahlung war enorm“, erzählt Frank Lang, Einheitsführer der Wache 2. Gemeinsam mit den Neustädter Kamerad:innen sorgen die Kolleg:innen auf der Rückseite erstmal für eine umfassende Riegelstellung zu den gefährdeten Gebäuden in der engen Straße. Sie bringen einen Monitor und die Drehleiter mit dem Wenderohr in Stellung. Außerdem nehmen sie zwei weitere Rohre vor.

Auf der Vorderseite haben die Einheiten von Renk und Steinbrink Löschmaßnahmen über die Wenderohre von zwei Drehleitern, einen Monitor und zwei B-Rohre eingeleitet. Drei Atemschutztrupps sind in die Nachbargebäude eingedrungen und versuchen vehement, eine weitere Brandausbreitung zu verhindern. Die direkt angrenzenden Dachstühle brennen bereits lichterloh.

Kurz nach 22 Uhr treffen auf der Rückseite die beiden Löschfahrzeuge der FF Huchting ein. Die Kamerad:innen unterstützen dort, indem sie eine weitere Wasserversorgung aufbauen und zwei weitere Rohre vornehmen.

Weil sich das Brandobjekt am höchsten Punkt der Straße „Am Wall“ befindet, müssen sich die Einsatzkräfte an der Vorderseite immer wieder von beiden Seiten die Steigungen hochkämpfen, um Material vor das Gebäude zu bringen. Hier unterstützen mittlerweile unter anderem die Einheiten der FF Arsten, der FF Strom und später auch der FF Blockland.

Es werden vier Einsatzabschnitte gebildet:

  • Zentrale Brandbekämpfung des Hauptgebäudes von der Vorderseite, vor allem im Außenangriff. Der Innenangriff kann bis dahin nur unter größter Vorsicht im Erdgeschoss erfolgen
  • Löscharbeiten im Dachbereich und die Riegelstellung zum angrenzenden Gebäude von vorne links
  • Brandbekämpfung im Dachbereich und Riegelstellung zum angrenzenden Gebäude von vorne rechts
  • Brandbekämpfung des Hauptgebäudes auf der Rückseite sowie Riegelstellung zu allen anderen gefährdeten Objekten.

Weitere Einsatzkräfte von Berufs- und Freiwilliger Feuerwehr erreichen die Einsatzstelle. Darunter auch der Fernmeldedienst der Freiwilligen Feuerwehr (heute Facheinheit Information und Kommunikation) mit dem Einsatzleitwagen (ELW) 2 zur Unterstützung der Einsatzleitung. Aus der Leitstelle heraus werden Rundfunkdurchsagen veranlasst, um die Bevölkerung vor der starken Rauchentwicklung in der Innenstadt zu warnen.

Innenangriff lange Zeit kaum möglich

Während die Einsatzkräfte unter großer Belastung die Löscharbeiten vorantreiben, säumen Schaulustige die Böschung zu den Wallanlagen. Zirka eine Stunde nach Brandausbruch erreicht auch Innensenator Ulrich Mäurer die Einsatzstelle. Senator Mäurer erinnert sich: „Ich war von dem Ausmaß des Feuers wirklich geschockt. Ich fand den Einsatz der Feuerwehr sehr beeindruckend, weil er trotz dieser Brandintensität zielgerichtet und ruhig ablief.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte der damalige Leiter der Feuerwehr Karl-Heinz Knorr die Einsatzleitung übernommen.

Stück für Stück dringen Atemschutztrupps ins Erdgeschoss des brennenden Kaufhauses vor. Sie kommen nicht sehr weit, aber können die Flammen hier etwas eindämmen. Im linken Nachbargebäude kontrolliert und kühlt ein Atemschutztrupp ständig die Wände zum Brandobjekt. Weitere Einsatzkräfte bekämpfen in diesem Nachbarhaus im ständigen Wechsel den Dachstuhlbrand. Die extreme Hitzeentwicklung macht den Trupps zu schaffen. Der Einsatz wird zunehmend gefährlicher. „Zwischendurch schien es häufig so, dass der Dachstuhlbrand nahezu gelöscht wäre“, erzählt Bela Renk. „Doch dann flammte der Bereich immer wieder massiv auf.“

Für eine insgesamt effektivere Brandbekämpfung im Dachbereich wird die 45-Meter-Teleskopmastbühne (TMB) der Werkfeuerwehr Mercedes-Benz angefordert. Sie trifft gegen Mitternacht am Einsatzort ein und wird vor dem Gebäude in Stellung gebracht.

Es ist 0:25 Uhr als die Einsatzkräfte den Brand „unter Kontrolle“ haben. Die Gefahr einer weiteren Brandausbreitung ist weitestgehend gebannt, obwohl der Dachstuhlbrand im linken Gebäude immer wieder aufflammt. Aus der Vorderseite des Kaufhauses schlagen immer wieder Flammen aus den Fenstern.

Über 130 Feuerwehrkräfte sind zu diesem Zeitpunkt vor Ort, versorgt durch die Verpflegungseinheit der Feuerwehr Bremen. Um den Grundschutz im Stadtgebiet sicherzustellen werden die Wache 1 von der FF Lehesterdeich und die Wache 4 von der FF Seehausen besetzt. Im weiteren Einsatzverlauf erfolgt noch eine Wachbesetzung der Wache 3 durch die FF Osterholz.

Mit einem Großaufgebot durch die Nacht

Gegen 2:30 Uhr werden die ersten Einheiten an der Einsatzstelle „Am Wall“ ausgelöst. Viele der Fahrzeuge, die in der ersten Einsatzphase ihre Stellung bezogen haben, bleiben an ihren Positionen stehen. Zum Einsatz kommen die Freiwilligen Feuerwehren aus Burgdamm, Oberneuland, Lesumbrok und Grambkermoor. Über einige Stunden wird der Kräfteansatz so beibehalten, bis die Brandintensität in den frühen Morgenstunden zurückgeht. Zum Wachwechsel um 7 Uhr werden die eingesetzten Kräfte der Berufsfeuerwehr am Einsatzort ausgetauscht. Die FF Lehesterdeich und FF Seehausen , die drei Stunden zuvor ihre Wachbesetzungen aufgelöst haben, rücken nun auch zur Einsatzstelle am Wall an.

Die Aufgabe der „frischen“ Kräfte: immer wieder Glutnester identifizieren und ablöschen. Eine große Herausforderung, weil viele Bereiche aufgrund der Zerstörung nicht mehr oder aufgrund der verwinkelten Bauweise nicht zugänglich sind.

Doch gegen 10:45 Uhr kann der Personaleinsatz endlich deutlich reduziert werden. Die Nachlöscharbeiten werden abwechselnd von Einheiten der Feuer- und Rettungswachen 1, 2 und 5 fortgeführt. Gegen 17 Uhr am Donnerstagnachmittag heißt es dann „Feuer aus“. Zirka drei Stunden später rücken Einheiten der Wache 1 nochmal an und kontrollieren die Brandruine umfassend. Die Einsatzstelle ist kalt.

So endete nach zirka 19,5 Stunden einer der aufreibendsten Brandeinsätze im neuen Jahrtausend.